Statement von Prof. Dr. Hans-Martin Lübking

Statement von Prof. Dr. Hans-Martin Lübking anlässlich der Pressekonferenz am 14.02.2008 im Landtag in Düsseldorf - Vorstellung der Initiative: "Länger gemeinsam lernen"

Eine Initiative aus der Evangelischen Kirche, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und von bekannten Persönlichkeiten der Wirtschaft, des Handwerks und aus den Erziehungswissenschaften in NRW hat ein Bündnis gegründet: "Länger gemeinsam lernen". Mit diesem Bündnis wollen wir in Nordrhein-Westfalen eine öffentliche Diskussion über unser Schul- und Bildungssystem anstoßen. Offen und fair, nicht an Partei- und Verbandsinteressen orientiert, wollen wir diskutieren, wie Schülerinnen und Schüler optimal gefördert, Bildungsbarrieren abgebaut und Schulen zu modernen Lernorten weiterentwickelt werden können.

In zehn Punkten haben wir zusammengefasst, wie wir uns eine zukunftsorientierte und bildungsgerechte Schule vorstellen.

  1. Wir wollen eine pädagogisch kreative Schule, die alle Kinder und Jugendlichen nach ihren individuellen Möglichkeiten optimal fördert und ihnen vielfältige Unterstützung bietet.
  2. Wir wollen eine bildungsgerechte Schule, in der alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig von Elternhaus, sozialer oder kultureller Herkunft, die gleichen Chancen haben.
  3. Wir wollen eine anspruchsvolle Schule, die alle Kinder und Jugendlichen motiviert, gute Leistungen zu erzielen.
  4. Wir wollen eine werteorientierte Schule, die ihren Erziehungsauftrag wahrnimmt und Orientierung durch Werte bietet, die in ihr gelebt und vermittelt werden. 
  5. Wir wollen eine demokratische Schule, in der Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte gemeinsam das Lernen gestalten und Verantwortung für das demokratische Zusammenleben in der Schule übernehmen.
  6. Wir wollen eine integrative Schule, die Gemeinschaft stiftet und kein Kind ausgrenzt.
  7. Wir wollen eine zukunftsweisende Schule, in der alle Kinder möglichst lange gemeinsam lernen können.
  8. Wir wollen eine angebotsreiche Ganztagsschule, die allen Schülerinnen und Schülern offen steht. 
  9. Wir wollen eine erfolgsorientierte Schule für alle Schülerinnen und Schüler, eine Schule ohne Sitzenbleiben, Abstufungen oder Abschulungen.
  10. Wir wollen eine lebendige Schule, in die Kinder und Jugendliche gern gehen, weil das Leben und Lernen in der Schule Freude machen.

Das sind Richtungsanzeigen, die nicht den Trends der gegenwärtig herrschenden Schulpolitik in NRW entsprechen. Die Verengung des Bildungsverständnisses auf sogen. Kernfächer, die Abschottung des Gymnasiums von den anderen Schulformen oder die Verkürzung der Schulzeit an den Gymnasien ohne gleichzeitige Entrümpelung des Lernstoffs halten wir für falsch.
Kopfnoten sind kein geeignetes Mittel, um die sozialen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern zu fördern.
Vor allem aber halten wir das starre Festhalten am fünfgliedrigen Schulsystem in NRW für falsch.
Man kann die Hauptschule auf Dauer nicht künstlich am Leben erhalten - auch in NRW nicht. Sie kann noch so gut arbeiten - viele Hauptschulen gehören pädagogisch zu den innovativen Schulen -, doch wer zur Hauptschule geht, ist stigmatisiert.
Kein Politiker würde seine eigenen Kinder dort unterrichten lassen. Kinder lernen auf der Hauptschule, dass sie Verlierer sind: Es hat eben für eine andere Schule nicht gereicht.

Darum gehört die Frage der Schulstruktur auf die Tagesordnung! Wenn das gegliederte Schulsystem nach dem Urteil der meisten Bildungsexperten zu sozialen Ungerechtigkeiten führt und den Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft nicht gerecht wird, dann muss es verändert werden.
Wir brauchen mutige Reformen statt endloser Korrekturen am falschen System.

Wie Sie wissen, werden in keinem anderen Land Schülerinnen und Schüler so früh sortiert wie in Deutschland, nämlich nach dem 4. Schuljahr. Es ist schlicht ungerecht und unverantwortlich, Kinder mit 10 Jahren so zu sortieren, dass damit über ihren späteren Lebensweg entschieden wird. Wie in allen anderen Ländern muss eine deutlich längere gemeinsame Lernzeit aller Kinder das Ziel sein.
Wir wollen eine Gemeinschaftsschule, in der die Kinder möglichst lange zusammenbleiben können, am besten bis zur Klasse 10.
Wer eine solche Schule als "Einheitsschule" diffamiert, verschweigt, dass integrative Schulsysteme in internationalen Schulvergleichen in der Regel besser abschneiden. Heute, 2008, ist Deutschland neben Österreich das einzige Land auf der Welt mit einem gegliederten Schulsystem. Elf von 16 Bundesländern rücken zur Zeit vorsichtig davon ab. Nordrhein-Westfalen befindet sich mit seinem starren Festhalten an der Fünfgliedrigkeit zur Zeit auch in Deutschland in einer Minderheitenposition.

Wir wissen auch, dass die Überwindung des gegliederten Schulsystems kein Allheilmittel für die Lösung aller Schulprobleme ist.
Das wird den Befürwortern einer Gemeinschaftsschule gern unterstellt, doch ich kenne keinen ernst zu nehmenden Schulexperten, der nicht auch darauf hinweist, dass weitere Reformschritte hinzukommen müssen: z.B. Fördermaßnahmen so früh wie möglich, die Einführung der Ganztagsschule mit einem pädagogischen Konzept, ein differenziertes Unterstützungssystem an jeder Schule oder auch die Verbesserung der Unterrichtskultur an den Schulen.
Für solche Reformschritte gibt es überall schon praktische Ansätze. Sie sind nötig, doch in der Reichweite begrenzt.
Ohne Veränderung der Schulstruktur bringen sie keine Lösung für das massive Problem der fehlenden Chancengerechtigkeit in der Schule, keine Perspektive für die Bildungsverlierer v. a. in Haupt- und Förderschulen und keine Aussicht, die vorhandenen Begabungen unter Schülern besser auszuschöpfen.

Zuletzt ein Wort zur Evangelische Kirche: Nachdem schon die letzten EKD-Denkschriften mehr Bildungsgerechtigkeit angemahnt und das gegliederte Schulsystem in Deutschland in Frage gestellt haben, hat die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen vor einigen Monaten die Initiative ergriffen und beschlossen, auf der Grundlage des evangelischen Bildungsverständnisses Anforderungen für ein zukünftiges und gerechteres Bildungssystem in Nordrhein-Westfalen zu erarbeiten.
Dazu werden wir Foren für den öffentlichen Diskurs über unser Bildungssystem gestalten und uns bemühen, Bündnispartner für die notwendigen Veränderungen im Bildungssystem zu gewinnen.
Wir werden uns in dieser Diskussion nicht zu allem und jedem äußern, entscheidend ist für uns die Frage der Bildungsgerechtigkeit.
Gute Bildung ist zwar insgesamt noch mehr als Bildungsgerechtigkeit, aber ohne Bildungsgerechtigkeit gibt es keine gute Bildung für alle.


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